Süddeutsche Zeitung

Framing-Analyse von Vanessa Hofer und Linda Kovacova

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) zählt als überregionale Tageszeitung zu einer der größten Qualitätszeitungen Deutschlands. Die SZ berichtet von Montag bis Samstag täglich über aktuelle Themen aus z.B. Politik, Wirtschaft, Feuilleton, Sport und auch Wissenschaft. Im Jahresquartal des Forschungszeitraums erreichte die SZ eine Reichweite von insgesamt 288.074 verbreiteten Auflagen, davon entsprachen 99.026 Exemplare einer E-Paper-Version.¹ Laut eigenen Angaben der SZ sei ihre Leserschaft überdurchschnittlich hoch gebildet und in gehobenen Positionen mit hohen Einkommen beschäftigt (diese Angaben beziehen sich auf die SZ in Bayern).² Man schätze neben einer kritischen Redaktion auch die kritischen Leserinnen und Leser.³

Innerhalb des Untersuchungszeitraums konnten zwei verzerrende Frames in dem Medium Süddeutsche Zeitung gefunden werden. Die von Verzerrung betroffenen Artikel erschienen beide im Ressort Politik. Beide Artikel beziehen sich inhaltlich auf Tätigkeiten der aktuellen Bundesregierung. In diesen Beispielen zeigt die SZ eine eher kritische Haltung gegenüber der Rede des amtierenden Bundeskanzlers im Europaparlament und scheint die Verhandlungsfähigkeiten der Bundesminister zusammen mit Olaf Scholz beim Flüchtlingsgipfel anzuzweifeln.

Frame 1: „Seltsam, dass jetzt alles so friedlich und sogar zügig endet, wo sich doch Bund und Länder eine Woche lang mit Vorwürfen und Forderungen überzogen haben.“

In: „Der Kanzler spendiert eine Milliarde und Bouletten“ Von Markus Balser, Daniel Brössler, Paul Anton Krüger, Nicolas Richter und Mike Szymanski (Ausgabe 109/2023)

In dem ausgewählten Artikel geht es um den Flüchtlingsgipfel, der am 10. Mai 2023 in Berlin stattgefunden hat. Dabei galt es, eine Lösung zu finden, um einerseits den überlasteten Kommunen zu helfen und andererseits zu klären, wie Bund und Länder sich langfristig die Kosten teilen. Letzteres ist während des Gipfels nicht geklärt worden, dafür werden die Gemeinden nun mit insgesamt einer Milliarde Euro bei der Unterbringung von geflüchteten Menschen unterstützt.

In der Berichterstattung konnte ein verzerrender Frame entdeckt werden: „Seltsam, dass jetzt alles so friedlich und zügig endet, wo sich doch Bund und Länder eine Woche lang mit Forderungen und Vorwürfen überzogen haben.“ Diese Formulierung stellt in Frage, dass bei dem Treffen zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten eine Einigung erzielt werden kann. Die Einschätzung der Autoren, dass die friedliche Stimmung „seltsam“ wäre, wird scheinbar plausibel erklärt durch die Diskussionen in der vorherigen Woche. Allerdings ist zu bedenken, dass der Flüchtlingsgipfel für Einigung sorgen sollte und deshalb schon am Ende dieses Treffens „Frieden“ zwischen den beteiligten Parteien auch erwartet werden kann. Jegliche weitere Bewertung basiert auf der subjektiven Meinung der Autoren.

Lösungsvorschlag: „Nach einer Woche voller Forderungen und Vorwürfen zwischen Bund und Ländern, konnten sich diese nun einigen.“

Frame 2 im Untertitel: „Mit seiner Rede zur EU kann Olaf Scholz die Abgeordneten in Straßburg nicht begeistern.“

Frame 3 im Text: „Olaf Scholz will ein starkes Europa, aber er beginnt damit, wie klein es ist. Zwar mag die Europäische Union hier in Straßburg groß wirken, im Parlamentsgebäude mit einer 13 000 Quadratmeter großen Glasfassade und 705 Abgeordneten. Aber der Bundeskanzler, der hier eine Rede zum Europatag hält, zitiert erst mal den französischen Schriftsteller Paul Valéry – ‚Wird Europa das, was es wirklich ist: ein kleines Vorgebirge, ein Kap des asiatischen Festlands?‘“

In: „Der Kanzler MUSS KRITIK EINSTECKEN“ Von Jan Dieseldorf und Nicolas Richter Ausgabe (107/2023)

Inhaltlich handelt der Artikel von Scholz’ Rede zum Europatag in Straßburg im europäischen Parlament. Darin schreiben die Autoren zunächst: „Mit seiner Rede zur EU kann Olaf Scholz die Abgeordneten in Straßburg nicht begeistern“. Diese Formulierung suggeriert, dass der Bundeskanzler alle Abgeordneten mit seiner Rede nicht begeistern konnten. Nicht nur ein paar oder diejenigen, die ihn später mit eigenen Redebeiträgen kritisiert haben oder welche, die nicht applaudiert haben, sondern jede Person im Saal. Die Abgeordneten in Straßburg bedeutet alle Abgeordneten in Straßburg. Und es ist davon auszugehen, dass diese Aussage aus der Position des Journalisten nicht ausreichend belegt werden kann, sondern auf subjektiver Wahrnehmung basiert. Diese Vermutung wird im E-Mail-Austausch mit den Journalisten durch ihre eigenen Aussagen bestätigt. Somit wurde an dieser Stelle die Wirklichkeit verzerrt und die Leserinnen und Leser werden zu der Sichtweise verleitet, die Rede des Bundeskanzlers war schlecht. Zudem handelt es sich um den ersten Satz in dem Artikel, wodurch die Leserinnen und Leser verführt sind, den Auftritt des Kanzlers im weiteren Verlauf des Textes unter diesem skeptischen Blickwinkel zu betrachten. Im Allgemeinen erscheint dieser Artikel als eine eher negative Darstellung des Bundeskanzlers.

Auch ein paar Zeilen weiter setzt sich der Negativ-Frame fort: „Olaf Scholz will ein starkes Europa, aber er beginnt damit, wie klein es ist. Zwar mag die Europäische Union hier in Straßburg groß wirken, im Parlamentsgebäude mit einer 13 000 Quadratmeter großen Glasfassade und 705 Abgeordneten. Aber der Bundeskanzler, der hier eine Rede zum Europatag hält, zitiert erst mal den französischen Schriftsteller Paul Valéry – ‚Wird Europa das, was es wirklich ist: ein kleines Vorgebirge, ein Kap des asiatischen Festlands?‘“. Die Verwendung der Konjunktion „aber“ weist zweimal auf einen Widerspruch zwischen den Aussagen hin. Doch das ist hier nicht der Fall: der Kanzler kann ein starkes Europa wollen und gleichzeitig darüber sprechen, wie klein es ist und Paul Valéry zitieren. Die inhaltliche Absicht, die Olaf Scholz verfolgt, ist in seiner Rede gut verständlich. Doch in der Berichterstattung wird diese Gegenüberstellung nicht ganz klar.

Laut dem Duden (2023) drückt „aber“ am Anfang eines Haupt- oder Nebensatzes einen Gegensatz, einen Einwand, „eine Einschränkung, einen Vorbehalt, eine Berichtigung [oder] Ergänzung aus“. Ebenso kann dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass etwas nicht der Erwartung entspricht.⁴ Durch die Verwendung des Wortes „aber“ in diesem Zusammenhang scheint es so, als wollten die Autoren einen Widerspruch in Olaf Scholz‘ Rede aufdecken. Die Autoren kontrastieren nicht nur die Tatsache, wie groß Europa aus der europäischen Perspektive wirkt und wie klein es im Gegensatz zu dem Rest der Welt sein kann. Sondern: sie kontrastieren auch den Fakt, dass Scholz ein starkes Europa will, mit dem Fakt, dass er mit der Größe Europas beginnt – durch das Wort „aber“. Es scheint so, als würde dieser Wille und gleichzeitig der Beginn der Rede nicht zusammenpassen, als würde sich der Kanzler widersprechen. (Ähnlich ist es bei dem zweiten „Aber“). Durch dieses Framing erscheint es schwer, sich eine eigene Meinung zur Rede des Kanzlers zu bilden.

Lösungsvorschläge: Um eine Verzerrung zu umgehen und neutral zu berichten, bietet sich folgende Formulierung an: „Auf seine Rede im Europaparlament reagieren verschiedene Abgeordnete mit Kritik. So zum Beispiel Manfred Weber (EVP) und Terry Reintke (Die Grünen/EFA).“

Im zweiten Satz genügt das Weglassen und Ersetzen der Konjuktion „aber“:
„Olaf Scholz will ein starkes Europa und er beginnt damit, wie klein es ist. Zwar mag die Europäische Union hier in Straßburg groß wirken […]. Der Bundeskanzler, der hier eine Rede zum Europatag hält, zitiert erst mal den französischen Schriftsteller Paul Valéry […].“

Im E-Mail-Kontakt mit den verantwortlichen Autoren des Artikels „Der Kanzler muss Kritik einstecken“ (Frame 2 und 3) stimmten diese den Ergebnissen und damit der identifizierten Verzerrung nicht zu. Sie argumentieren, dass sie als Zuhörer die Stimmung im Parlamentssaal gut „spüren“ können. Die Argumentation ihrer Erklärung („Dies war unser Eindruck“, „Nach unserer Wahrnehmung“) lassen erkennen, dass hier die subjektive Perspektive der Autoren als eine Quelle der Berichterstattung genutzt wurde. Eine neutrale Berichterstattung zeichnet dagegen aus, dass sie objektiv ist und unabhängig von der Meinung der Autoren. Gesamte Stellungnahme hier

Quellen:
¹ https://www.ivw.de/
² https://sz-media.sueddeutsche.de/landingpages/mehr-in-muenchen-und-bayern-erreichen.html
³ https://www.sueddeutscher-verlag.de/sueddeutsche-zeitung

https://www.duden.de/rechtschreibung/aber_Konjunktion_Bedeutung_doch

Kategorien
Zuletzt Hinzugefügt
Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten